Warum ist Absinth giftig? Die Wahrheit hinter dem grünen Geist

Lukas Schreiber Nov 16 2025 Spirituosen und Mixologie
Warum ist Absinth giftig? Die Wahrheit hinter dem grünen Geist

Vielleicht hast du schon mal einen Film gesehen, in dem ein Künstler im 19. Jahrhundert vor einem Glas grüner Flüssigkeit sitzt, die Augen weit aufgerissen, die Hand zitternd - und weißt: Das ist Absinth. Der Mythos sagt, er macht wahnsinnig. Dass er hallucinogen ist. Dass er tödlich. Aber ist das wirklich wahr? Oder ist es nur eine alte Angst, die sich um eine teure Flasche mit Kräutern gewickelt hat?

Was ist Absinth wirklich?

Absinth ist kein Zaubersaft. Er ist ein hochprozentiger Kräuterlikör, der traditionell aus Absinth ist ein alkoholisches Getränk, das hauptsächlich aus Wermut, Sternanis und Fenchel destilliert wird. Die Grundlage ist Wermut - eine Pflanze, die seit Jahrtausenden als Heilkräuter verwendet wurde. Die Destillation erfolgt mit weiteren Kräutern wie Anis, Melisse, Petersilie und manchmal auch Blüten. Danach wird er oft mit Wasser verdünnt und mit Zucker süß - ein Ritual, das als Absinthkultur bekannt ist.

Der berühmte grüne Farbton kommt nicht von Farbstoffen, sondern von den Chlorophyll-Extrakten der Kräuter, die nach der Destillation in der Flasche ziehen. Ohne diese Nachziehphase wäre er farblos. Die Farbe ist also ein Nebenprodukt der Herstellung, nicht ein Zeichen für Giftigkeit.

Der Mythos des Thujons

Die Hauptursache für die Angst vor Absinth ist ein Stoff namens Thujon ist ein ätherisches Öl, das in Wermut vorkommt und in hohen Dosen neurotoxisch wirken kann. Im 19. Jahrhundert glaubten Ärzte und Politiker, dass Thujon die Ursache für die angeblichen Halluzinationen, Krämpfe und psychischen Abstürze von Absinthtrinkern sei. Die Wissenschaft damals war noch jung - und die Angst vor Drogen und Künstlern groß.

Die Behauptung: Ein Glas Absinth enthält genug Thujon, um das Gehirn zu vergiften. Doch die Zahlen lügen. Eine Studie der Universität Basel aus dem Jahr 2008 analysierte historische Absinthflaschen aus dem 19. Jahrhundert. Ergebnis: Der Thujongehalt lag zwischen 0,5 und 35 mg/L - durchschnittlich bei 10 mg/L. Heutige, legalisierte Absinthe in der EU dürfen maximal 10 mg/L Thujon enthalten - und das ist weniger als in einigen Kräutertees oder Salbeiöl.

Um eine toxische Dosis Thujon zu erreichen, müsstest du mehr als zwei Liter Absinth auf einmal trinken - und das nur, um an die Grenze des Thujon-Giftes zu kommen. Der Alkohol würde dich viel früher umbringen. Ein Mensch stirbt bei etwa 5 Gramm reinem Alkohol pro Kilogramm Körpergewicht. Bei 70 kg wären das 350 Gramm Alkohol - das entspricht ungefähr 7 Liter Absinth mit 40 % Vol. Alkohol. Thujon ist also nicht der Killer. Der Alkohol ist es.

Warum wurde Absinth verboten?

Das Verbot von Absinth in vielen Ländern zwischen 1900 und 1915 hatte weniger mit Giftigkeit zu tun als mit Macht und Propaganda. Die Weinindustrie in Frankreich litt unter einem Rückgang der Verkäufe - und machte Absinth verantwortlich. Die Kirche fürchtete die rebellische Kultur der Künstler, die ihn tranken. Die Medien schrien nach „Moralverfall“ - und die Regierungen reagierten mit Gesetzen.

Ein berühmtes Beispiel: 1905 wurde ein Schweizer Landwirt namens Jean Lanfray nach dem Trinken von zwei Gläsern Absinth, einem Glas Wein und einem Glas Cognac seine Familie erschossen. Die Presse machte Absinth zum Sündenbock - obwohl er auch Alkohol und andere Getränke getrunken hatte. Der Fall wurde zu einem politischen Werkzeug. Innerhalb von zwei Jahren verboten die Schweiz, die USA, Frankreich und viele andere Länder Absinth.

Das Verbot war weniger eine medizinische Entscheidung als eine soziale und wirtschaftliche. Es war eine Reaktion auf Angst - nicht auf Fakten.

Zwei alte Absinthflaschen, eine klar und eine grün, auf einem steinernen Fensterbrett im Sonnenlicht.

Heute: Ist Absinth noch gefährlich?

Seit den 2000er-Jahren ist Absinth in der EU, den USA und vielen anderen Ländern wieder legal - unter strengen Grenzwerten. In der EU darf er maximal 10 mg Thujon pro Liter enthalten. In den USA sind es 10 mg/L für „absinthe“-gekennzeichnete Produkte. In der Schweiz, wo er erfunden wurde, ist er seit 2005 wieder erlaubt - und wird von kleinen Brennereien wie der La Clandestine oder La Bleue mit großer Sorgfalt hergestellt.

Heutiger Absinth ist nicht giftiger als Wodka, Gin oder Whisky. Er hat meist 45-74 % Alkohol - also mehr als die meisten Spirituosen. Das ist das einzige echte Risiko: der hohe Alkoholgehalt. Wer ihn pur trinkt, riskiert schnelle Vergiftung, Übelkeit, Verlust der Kontrolle - genau wie bei jedem anderen Starkbrennspiritus.

Die berühmten „Halluzinationen“? Die gab es nicht. Sie waren eine Mischung aus Alkoholwirkung, dem künstlerischen Selbstbild der Trinker, der Dunkelheit der damaligen Kneipen und der suggestiven Wirkung der Legende. Wer heute Absinth trinkt, erlebt keine Visionen - er erlebt einen starken, aromatischen Kräuterlikör mit einer Geschichte, die schwerer ist als sein Alkoholgehalt.

Was passiert, wenn du zu viel trinkst?

Wenn du drei Gläser Absinth in einer Stunde trinkst, wirst du betrunken - nicht verhext. Dein Kopf wird schwer, deine Koordination verschlechtert sich, dein Magen rebelliert. Das ist Alkohol. Nicht Thujon. Nicht Magie. Nicht Wahnsinn.

Einige Menschen berichten von leichten Kopfschmerzen oder Übelkeit nach Absinth - aber das liegt an den ätherischen Ölen, nicht an Gift. Ähnlich wie bei stark gewürzten Speisen oder Bitterkräutern. Dein Körper reagiert auf die Komplexität der Aromen, nicht auf eine chemische Bombe.

Es gibt keine dokumentierten Fälle von Thujon-Vergiftung durch Absinth in der modernen Ära. Selbst bei übermäßigem Konsum - und das ist extrem selten - treten keine neurologischen Schäden auf, die auf Thujon zurückzuführen wären.

Wie trinkst du Absinth richtig?

Wenn du ihn probieren willst - und du solltest, wenn du an Kräuterlikören interessiert bist - dann trink ihn nicht pur. Verwende die traditionelle Methode: Gib einen Teelöffel Zucker auf ein perforiertes Löffelchen, stelle ihn über das Glas, gieße langsam eiskaltes Wasser darüber, bis sich der Zucker auflöst und der Absinth milchig wird. Das ist der louching-Effekt - ein wunderschöner Moment, wenn die Öle sich mit Wasser verbinden.

Trinke ihn langsam. Genieße den Duft von Wermut und Anis. Lass ihn auf deiner Zunge liegen. Er ist kein Rauschmittel - er ist ein Aperitif. Ein Getränk für den Kopf, nicht nur für den Bauch.

Ein Meisterdistillateur beobachtet einen Kupferdestillierapparat in einer Schweizer Brennerei bei Dämmerung.

Was ist mit Absinth in der modernen Küche?

Heute wird Absinth auch in der Kochkunst verwendet - in Saucen, Desserts, sogar in Eiscreme. Die Thujon-Konzentration verdunstet beim Erhitzen. In einem Dessert mit einem Esslöffel Absinth ist der Gehalt so gering, dass er keine Wirkung hat - und schon gar keine Giftwirkung.

Einige Gastronomen in Stuttgart, Paris oder Prag servieren Absinth als Teil von Gourmet-Menüs. Die Kundschaft weiß: Es ist kein Gift. Es ist ein Geschmack. Ein Erbe.

Frequently Asked Questions

Ist Absinth heute noch illegal?

Nein. Absinth ist seit den 2000er-Jahren in der EU, den USA, Kanada und vielen anderen Ländern legal, solange der Thujongehalt unter 10 mg/L liegt. Die meisten modernen Marken halten sich strikt an diese Grenzwerte.

Kann Absinth mich wahnsinnig machen?

Nein. Es gibt keine wissenschaftliche Beweise dafür, dass Absinth Halluzinationen oder psychische Störungen verursacht. Die alten Geschichten stammen aus einer Zeit, in der Alkoholismus nicht verstanden wurde und Künstler romantisiert wurden. Der Effekt ist Alkohol - kein Thujon.

Warum ist Absinth grün?

Die grüne Farbe kommt von Chlorophyll, das aus den Kräutern wie Wermut und Melisse beim Nachziehen in der Flasche gelöst wird. Es ist ein natürlicher Prozess, kein Farbstoff. Es gibt auch klare Absinthe (Absinthe blanche), die nicht nachgezogen werden.

Ist Absinth gefährlicher als Wodka?

Nein. Absinth hat oft mehr Alkohol als Wodka - aber nicht mehr Gift. Der einzige Unterschied ist der Geschmack und die Komplexität der Kräuter. Beide sind sicher, wenn sie verantwortungsvoll konsumiert werden.

Kann ich Absinth als Heilmittel verwenden?

Wermut wurde früher als Magenmittel verwendet - aber Absinth ist kein Medikament. Der Alkoholgehalt macht ihn ungeeignet für therapeutische Zwecke. Heute wird er ausschließlich als Genussmittel konsumiert.

Was du wirklich brauchst, um Absinth zu verstehen

Es geht nicht um Gift. Es geht nicht um Wahnsinn. Es geht um eine Kultur, die verfolgt wurde, weil sie anders war. Absinth war das Getränk der Bohème, der Dichter, der Maler - und die Gesellschaft hatte Angst vor ihrer Freiheit.

Heute kannst du eine Flasche kaufen, sie öffnen, sie mit Wasser verdünnen - und sie genießen. Ohne Angst. Ohne Legenden. Nur mit dem Wissen: Es ist Alkohol. Und Alkohol ist kein Gift - solange du ihn nicht als Lösung für dein Leben nimmst.

Die wahre Giftigkeit liegt nicht in der Flasche. Sie liegt in der Angst, die Menschen ihr einhauchten - und manchmal noch immer einhauchen.

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